
Geschichte & Ziele geistlicher Begleitung
Die Inanspruchnahme eines Begleiters ist eine seit Anbeginn der Kirchengeschichte anerkannte Geistliche Übung. In ihr wird die Gottesbeziehung betrachtet. Die Treffen, bei denen Gebet, Gespräch und Austausch geschehen, können monatlich oder in größeren Abständen stattfinden. Der Begleiter tritt dabei nicht als Ratgeber oder Seelsorger, sondern eher als Vermittler auf. Er hilft dem Begleiteten, aufmerksam auf Gottes Handeln und Wegweisung zu werden.
Ziel der christlichen Glaubensreise ist es, christusähnlicher zu werden (im Englischen nennt man diesen Prozess Spiritual Formation). Dies geschieht über die persönliche Erfahrung von Gottes Gegenwart und die Hingabe an seine Führung. Der geistliche Begleiter (Eng. Spiritual Director) hilft uns verstehen, wie Gott uns derzeit führt und wie wir positiv auf seine Führung reagieren können. Er vermittelt uns Zugänge, Gott in der jetzigen Lebensphase tiefer zu begegnen.
Vor allem Menschen, die sich für Gottes Führung öffnen wollen, eine tiefere Beziehung wünschen und ein besseres Gespür für seine Gegenwart suchen, profitieren von dieser Art der Unterstützung. Dabei ist es nicht nötig spezielle Fragen oder Problemstellungen mitzubringen. Wichtige Themen oder Fragen werden im Prozess gegebenenfalls sichtbar.
Der Prozess
Geistliche Begleitung fragt vor allem danach, wie Gottes Nähe im Alltag erlebt wird. Nicht geistliche Leitungsverbesserung (schneller, höher, weiter), sondern Reifung und Tiefgang sollen gefördert werden.
Das miteinander Hören auf Gott hat hohen Stellenwert. Die Begegnungen können sogar den Charakter eines gemeinsamen Betens annehmen, wenn sich Begleiter und Begleiteter bewusst sind, dass ihr Austausch im Hören auf Gott und in seinem Beisein stattfindet. Ziel dieses Betens ist nicht Gott zum Handeln zu bringen, sondern herauszufiltern, was Gott ohnehin schon im Leben des Begleiteten tut und darin zuzustimmen.
Die Frequenz der Sitzungen wird gemeinsam entschieden. Sie hängt von Faktoren, wie Wunsch, Notwendigkeit, dem Fortgeschrittensein der geistlichen Reise oder der Lebenssituation ab. Jesusnachfolgern, die seit Langem Begleitung in Anspruch nehmen, können zwei Sitzungen im Jahr reichen. Andere suchen Begleitung vielleicht speziell in einer Lebensfindungsphase, Umorientierung oder einer geistlichen Krisenzeit. Die Notwendigkeit für Begleitung hört nie auf. Intensität und Regelmäßigkeit können variieren.
Wer bedarf Geistlicher Begleitung?
Vor allem bei Menschen, die auf ihrer Glaubensreise fortgeschritten sind, entfaltet Begleitung ihr Potenzial. Sie setzt an, wo gemeindeinterne oder selbsterdachte Fördermechanismen an Grenzen stoßen.
Führungspersonen, Innovatoren, Künstler oder auch Gemeindeleiter sind vor geistlicher Vereinsamung besonders gefährdet. Die Partnerschaft eines Begleiters bietet besonders ihnen die Möglichkeit, sich durchsichtig zu machen, Masken abzulegen, herausfordernde Gedanken und Themen vor Gott zu bringen.
Vorreiter wie C.S. Lewis, Richard Foster, Leighton Ford oder Eugene Peterson verweisen wiederholt auf die von ihnen durch Begleitung gemachten lebenswegweisenden Erfahrungen.
Geschichte der geistlichen Begleitung
Die Bibel spricht von Jesu Nachfolgern als Körper, Familie, Gottes Volk und lässt uns wissen: Wir sind verbunden und müssen es nicht alleine schaffen.
Schon im Alten Testament begegnet uns der Gedanke an geistliche Begleitung (hier oftmals durch Propheten). Im Neuen Testament findet Begleitung eher auf Augenhöhe, unter Freunden statt und wird oft durch Briefverkehr gepflegt. Ab dem vierten Jahrhundert treten Eremiten (Wüstenmütter/Väter) als Begleiter auf. Die Suchenden nehmen um sie zu treffen beschwerliche Reisen auf sich. Die Entwicklung von klösterlichen Orden erleichtert den Zugang.
Während der Entwicklung des Protestantismus wird der Gedanke von Begleitung teils durch Predigt und Seelsorge, die höheres Ansehen gewinnen, verdrängt. Diese Entwicklung ist heute rückläufig. Geistliche Begleitung hat ihren Ruf als speziellen geistlichen Dienst wiedererlangt. Autoren und Begleiter wie Thomas Merton, Henri Nouwen, Eugene Peterson, Richard Foster und Dallas Willard trugen entscheidend zu dieser Renaissance bei.
Die so entstandene heutige Form der Begleitung ist der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst. Sie ist weit weniger präskriptiv als in Teilen der Kirchengeschichte beobachtet.
Ziele
Begleitung fokussiert nicht das Gespräch über Gott, sondern die Reflexion unserer Erlebnisse mit ihm. Durch Verständnis seines Handelns wird unsere Achtsamkeit gegenüber Gott erhöht. Genau dies ist das Hauptziel geistlicher Begleitung: die Zunahme unseres Gottesbewusstseins inmitten oft überfüllter und hektischer Tage.
Nimmt unser Bewusstsein seiner Gegenwart zu, kann Hingabe folgen. Im Prozess der Begleitung erlernen wir ein vertieftes Leben aus seiner Gegenwart. Anzeichen einer fruchtbaren Begleitung sollten größere Freiheit in der Gottesbeziehung, vermehrte Gottesfreude, Neubelebung des Glaubens, innerer Friede und Klarheit sein.
Dieses „Einüben“ der Gegenwart Gottes ist ein lebenslanger Prozess (Bruder Lawrence spricht von: the practice of the presence of God).
Was Geistliche Begleitung nicht ist
Da Geistliche Begleitung nur einer von vielen Wegen ist unseren inneren Garten der Seele zu pflegen, sollten wir sie von anderen Formen unterscheiden.
Geistliche Begleitung ist kein Nachfolgetraining oder Mentoring.
Begleitung führt uns tiefer in die Beziehung und Nachfolge Christi, folgt aber keinem Programm oder Lehrplan. Der Begleiter lenkt die Gespräche auch nicht auf bestimmte Themen, sondern lässt Gott Raum die Gespräche zu führen.
Der Begleiter vermittelt keine geistliche Leitung.
Der Geistliche Begleiter hat keine Führungsrolle gegenüber dem Begleitenden. Er ist auch nicht Gottes Sprachrohr. Im Gegenteil, er möchte den Begleiteten zu größerer Verantwortlichkeit und Eigenständigkeit gegenüber Gott führen.
Der Begleiter ist kein Seelsorger.
Ziel der Begleitung ist das Wachstum in der Gottesbeziehung und nicht die Lösung von Lebensproblemen. Seelsorge schaut eher Lebensumstände oder Herausforderungen an, während Begleitung danach fragt, wie Gott erfahren wird und was seine Agenda ist.
Geistliche Begleitung vermittelt keine Lehre oder Predigt.
Der Begleiter möchte nicht belehren, den Glauben herausfordern, ermahnen oder theologische Konzepte vermitteln. Gottes konkrete Nähe steht bei den Gesprächen im Mittelpunkt. Es geht immer darum, sein aktuelles Handeln und Reden zu erkennen und positiv zu reagieren.
Wie finde ich einen Begleiter?
Es ist wichtig, einen Begleiter zu wählen, der gut zu einem passt. Qualifikation, Geschlecht oder geistlicher Hintergrund spielen bei der Auswahl weniger eine Rolle, als sich wohl, verstanden und sicher zu fühlen. Allerdings ist es sinnvoll, einen Begleiter zu suchen, dessen Glaubensstil und Lebensüberzeugungen nachvollziehbar und anziehend sind. In einem Vorgespräch oder einer Probesession kann geklärt werden, ob die Beziehung von beiden Seiten als erfolgversprechend gesehen wird.
Ein ausgebildeter oder berufsmäßiger Begleiter wird eine finanzielle Kompensation wünschen. Über die gegenseitigen Vorstellungen sollte im Vorfeld offen gesprochen werden.
Zusammenfassung
Geistliche Begleitung ist eine Antwort auf die wichtige, innere Sehnsucht unsere Glaubensreise zu teilen. Jesusnachfolge ist Teamsport. Jesus selbst lebt das Miteinanderverbundensein, das gemeinsame Ringen und Wachsen vor. In den biblischen Berichten treffen wir ihn selten alleine. Er bewegt sich im Regelfall mit anderen, teilt ihre (und seine) Lebens- und Glaubensgeschehnisse, beantwortet Fragen oder stellt sie. Sein Ziel ist stets das Gegenüber in eine bedeutsamere Gottesbeziehung zu führen.
Der gemeinsame Glaubensausdruck wird heute (vor allem von westlichen Jesusnachfolgern) wenig wichtig genommen. Eine Privatisierung des Glaubens ist spürbar. Dies führt von den Grundüberzeugungen, die Christus vorgelebt hat weg. Nur gemeinsam können wir Christus erleben und abbilden. Nur verbunden können wir in seiner Nachfolge reifen, uns und unsere Welt mit ihm verbinden. Geistliche Begleitung (ob professionell oder laienhaft) kann helfen die entstandene Lücke zu schließen.